Unit404 - behind the scenes

Kreativität im Kollektiv

In der dynamischen Welt der zeitgenössischen Kunst gibt es zahlreiche Einzelkünstler, die ihre individuellen Visionen zum Ausdruck bringen. Doch hin und wieder entsteht etwas Einzigartiges, wenn kreative Köpfe ihre Kräfte bündeln und als Kollektiv agieren. Eines dieser inspirierenden Beispiele ist das Künstlerkollektiv Unit 404.

Das Künstlerkollektiv 404

Unit 404 wurde gegründet mit der Vision, gemeinsame künstlerische Projekte zu realisieren und dabei die individuellen Stärken jedes Mitglieds einzubringen, ihre Werke sind nicht nur visuell beeindruckend, sondern tragen auch tiefgründige Botschaften und Reflexionen über aktuelle gesellschaftliche Themen in sich.


In diesem exklusiven Interview geben uns die Mitglieder von Unit 404 einen tieferen Einblick in ihre Zusammenarbeit, ihren kreativen Prozess und ihre Inspirationsquellen. Sie teilen Geschichten über die Entstehung einiger ihrer bedeutendsten Projekte, diskutieren die Herausforderungen und Freuden der kollektiven Arbeit und werfen einen Blick auf ihre zukünftigen Pläne und Träume.

Wie bist du zur Kunst gekommen?

Johanna: Nicht alle Mitglieder von Unit 404 haben Kunst studiert, die Auseinandersetzung mit unseren verschiedenen Hintergründen, die - neben bildender Kunst - zum Beispiel auch in Medienwissenschaften, Architektur und Design bestehen, war für uns immer schon ein wichtiger Ansatzpunkt. Unsere bisher entstandenen Arbeiten fühlen sich zwar schon in der Kategorie "Bildende Kunst” zuhause, auf einen rein künstlerischen Output haben wir uns als Kollektiv allerdings nie festgelegt.

Gordon: Ich kam zu der Entscheidung Kunst zu studieren, weil ich die Idee der Freiheit geliebt habe, dass man jeden Tag etwas Neues erschaffen kann. Gemeinsam Kunst zu machen, erlaubt es uns, Arbeiten zu erschaffen, die aus der Perspektive des gesamten Kollektivs schöpfen.

Wer oder was inspiriert dich?

Johanna: Da wir uns aus sechs Personen zusammensetzen, haben wir das große Glück unsere Inspiration auch aus all den Erfahrungen, Referenzen und Ideen, die sechs verschiedene Menschen in ihrem Leben erfahren, zu schöpfen. Das kann zum Beispiel darin bestehen, sich einfach gegenseitig Instagram Reels zu schicken, interessante Positionen anderer Künstler:innen miteinander zu teilen oder auch in den direkten Austausch mit anderen Künstler:innen und Kollektiven zu gehen.

Gordon: Uns inspiriert die unheimliche Fülle an verschiedenen Kunstwerken und das Storytelling hinter Werken. Oft sind es die Ideen hinter Kunstwerken, über die wir noch lange nachdenken.

Timothy: Unsere Einflüsse gehen jedoch über bildende Kunst hinaus. Uns inspirieren auch Musik, Literatur oder Philosophie. Unsere Arbeit im Kollektiv profitiert davon, dass wir alle sehr unterschiedliche Präferenzen haben, aber dennoch ähnliche ästhetische Vorstellungen teilen. Einfacher gesagt sind wir uns meistens einig darüber, was interessant oder langweilig, schön oder hässlich ist.

Erzähl uns etwas über deine künstlerische Ausbildung.

Jonas: Was ich besonders finde, ist, dass die Mitglieder des Kollektivs verschiedene Ausbildungen und Studiengänge abgeschlossen haben. Diejenigen, die Freie Kunst studiert haben, haben auch den Großteil ihres Studiums in verschiedenen Klassen und mit unterschiedlichen Fokuspunkten gearbeitet. Daneben haben andere Mitglieder des Kollektivs einen Ausbildungshintergrund in den Medien- und Literaturwissenschaften, der Architektur und im Kommunikationsdesign.

Unit404 - Labor II (full installation view)

Wie hat sich dein Stil im Laufe der Jahre entwickelt?

Gordon: Einen festen Stil in dem Sinne gibt es nicht, da die Arbeiten oft sehr unterschiedlich konzipiert sind….

Johanna: Ja, das kann man so sagen. Viele unserer Arbeiten sind eher sehr konzeptuell, das heißt, die Form folgt dem Inhalt. Unsere Schwerpunkte und unsere Ästhetik setzen sich aber eben aus vielen unterschiedlichen Einflüssen zusammen. Da wir häufig pro Projekt eine Person bestimmen, die aufgrund ihrer spezifischen Qualifikationen die Hauptverantwortung übernimmt, können unsere durchaus Arbeiten auch in ihrer Handschrift stark variieren. 

Wie beginnst du ein neues Projekt?

Gordon: Am Anfang jedes neuen Projekts steht für uns jedenfalls eine Recherche-Phase. In dieser Zeit lesen wir viel, schauen uns vergleichbare Projekte an oder suchen nach technischen Lösungen für ein Problem.

Johanna: Noch davor und auch während dieser Phase, diskutieren wir sehr viel und brainstormen gemeinsam. Da wir hauptsächlich basisdemokratisch agieren, kann das schonmal ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen. Das führt allerdings auch dazu, dass wir alle Entscheidungen - gerade in der Anfangsphase eines Projekts - mit viel Bedacht treffen, um dann eine gemeinsame Richtung einschlagen zu können.

Timothy: Diese Diskussionen sind absolut essenziell, da sich dabei Ideen zu Konzepten entwickeln. Oft hat jemand von uns bereits eine Idee und stellt sie im Plenum vor. Im besten Fall kommt eines zum anderen und ehe man sich versieht, nimmt das Ganze eine ganz neue Form und Statur an.

Welche Materialien und Techniken verwendest du am liebsten und warum?

Johanna: Da wir uns als Multimedia Kollektiv verstehen, setzen sich unsere Arbeiten eben auch aus unterschiedlichen Materialien und Techniken zusammen, die von Sound und Video bis hin zu oftmals ortsspezifischen und bildhauerischen Installationen reichen. Natürlich gibt es aber vor allem auf einer inhaltlichen Ebene Themen und bestimmte Aspekte, die einen gemeinsamen Nenner in unserer Arbeit bilden.

Gordon: Ja, unsere Arbeiten gehen weniger vom Material als von der Idee selbst aus. Eine bevorzugte Technik oder ein Lieblingsmaterial haben wir dementsprechend nicht.

Wie gehst du mit kreativen Blockaden um?

Timothy: Der vielleicht größte Vorteil der Arbeit im Kollektiv ist, dass Kreativblockaden leicht abgefedert werden können. Es ist selten, dass alle einen schlechten oder unproduktiven Tag haben. Irgendjemand hat immer etwas zu erzählen oder irgendetwas gesehen, das er oder sie inspirierend fand und mit der Gruppe teilen will.

Gordon: Wenn es gar nicht weitergeht, hilft uns der gemeinsame Austausch in unseren Treffen. Oftmals entstehen so neue Ideen, die man aus seiner eigenen Perspektive nicht gesehen hat. Dass gleichzeitig alle eine Kreativblockade haben, kommt eigentlich nicht vor.

Gibt es Rituale oder Gewohnheiten, die du beim Arbeiten pflegst?

Johanna: Sehr viel Kaffee.

Jonas: Das ist schwer zu beantworten, dafür sind unsere Arbeitsweisen zu sehr an die jeweilige Situation gebunden. Wir haben aber in den letzten Jahren im Kollektiv kommunikative Routinen entwickelt. Wenn beispielsweise ein Teil des Kollektivs bei einem Aufbau ist, wird zum Feierabend noch ein kurzes Briefing für die übrigen Mitglieder verfasst. Das hat sich einfach so ergeben.

Gordon: Der wichtigste Ritus ist wohl das regelmäßige Treffen im Kollektiv. Für gewöhnlich treffen wir uns mindestens alle zwei Wochen, auch wenn gerade nichts Konkretes ansteht.

Unit 404 - VisP-Engine (Documentation)

Kannst du uns von einem deiner Lieblingswerke erzählen und was es für dich bedeutet?

Gordon: Im Kollektiv mit Unit 404 ist meine Lieblingsarbeit “Labor I”, ein experimentelles Konzert mit verschiedenen Instrumenten und Gegenständen. Ich mag die Direktheit und die Unvorhersehbarkeit, wenn verschiedene Charaktere zusammenarbeiten.

Johanna: Für mich war VisP-Engine das größte und wichtigste unserer Projekte, weil wir zum einen sehr viele unserer unterschiedlichen Fähigkeiten zusammenbringen konnten und weil diese Arbeit (im positiven Sinne) nie wirklich fertig sein wird. Das Konzept Visp ist immer weiter ausbaubar und dadurch, dass es sich um eine ortsgebundene, interaktive Installation handelt, wird diese Arbeit auch in jedem Kontext sehr unterschiedlich funktionieren. Das finde ich spannend. Am meisten gelacht habe ich allerdings bei der Entstehung der audio-visuellen Installation Labor II, die sich mit der (Miss)Kommunikation zwischen uns, allen anderen und der Technologie auseinandersetzt.

Jonas: Da schließe ich mich Johanna an, für mich ist VisP auch eine sehr wichtige Arbeit. Der Prozess hat mir viel abverlangt, und ich konnte förmlich sehen, wie wir daran gewachsen sind. In diesem Zusammenhang war auch die Kooperation mit unseren Gastgebern Swetlana König und Benedikt Flückiger von der Drogerie Braunschweig ein Highlight für mich.

Wie wichtig ist dir die Botschaft oder Bedeutung deiner Kunstwerke?

Gordon: Die Bedeutung selbst entsteht erst durch das Publikum und ist dementsprechend nur bedingt lenkbar. Wir reden aber über gemeinsame Werte und unsere Attitüde hinter den Arbeiten, wie zum Beispiel den Gedanken des Open Source.

Jonas: Dem stimme ich zu. Niemand von uns sieht den Sinn unserer Arbeiten und deren Präsentation darin als Vehikel für eine bestimmte Aussage, Ideologie oder Meinung zu dienen.

Wie beeinflusst deine persönliche Erfahrung deine Kunst?

Johanna: Gerade die Multiperspektivität, die durch all unsere unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen entsteht, finde ich in unserer Arbeit sehr wichtig. Durch sie sind wir in der Lage, ambivalente Themen und Inhalte künstlerisch zu bearbeiten, ohne dabei eine falsche Eindeutigkeit in Bezug auf komplexe Sachverhalte und Problemstellungen, die sich in der heutigen Zeit aufdrängen, vorzugeben.

Wo hast du bereits ausgestellt und was waren deine wichtigsten Ausstellungen?

Jonas: Ich erinnere mich noch gut an unsere Arbeit bei der '89. Herbstausstellung’ im Kunstverein Hannover. Das war damals insofern besonders, als dass wir dort zum ersten Mal nach der recht kargen Corona-Zeit zusammengekommen sind.

Gordon: Irgendwie waren alle Ausstellungen wichtig, wir haben bei jeder davon bestimmte Dinge dazugelernt.

Jonas: Ja, das stimmt; jedes Projekt war, mindestens auf Basis unserer Selbstorganisation, unerlässlich für das nächste.

Wie fühlt es sich an, deine Werke öffentlich auszustellen?

Gordon: Es ist ein interessantes Phänomen, wochenlang an einem Werk zu arbeiten, was dann irgendwie unter den Blicken des Publikums ein Eigenleben bekommt.

Timothy: Der Prozess macht Spaß und ist sicherlich wichtig, doch eine Arbeit zu vollenden und Leuten zeigen zu dürfen ist besonders erfüllend. Oft ist man erst dann in der Lage, sich etwas vom Werk zu distanzieren und darüber zu reflektieren.

Jonas: Ich finde es meistens einfach anstrengend. Oft denke ich, es wäre gut, zwischen Fertigstellung und Präsentation ein paar Wochen Zeit zu haben.

Wie siehst du die Rolle des Internets und der sozialen Medien für Künstler heutzutage?

Timothy: Natürlich kommt das Thema auch immer auf, wenn es um die Vermarktung und Reichweite von Kunst geht. Dabei kommt auch immer die Frage auf, welcher Zeitaufwand für Social Media verhältnismäßig ist.

Gordon: Ich glaube, wir konsumieren viel mehr Kunst online als ich jemals in echt sehen würde.

Johanna: Ich denke, digitale Räume spielen in unserer Arbeit als Kollektiv eine sehr wichtige Rolle. Zum einen geben sie uns die Möglichkeit, überhaupt ortsunabhängig zusammenzuarbeiten, zum anderen stehen sie auch oft inhaltlich im Mittelpunkt unserer künstlerischen Arbeit.

 

Science x Art

Workshop im phaeno

am 09. August 10 bis 17 Uhr im Ideenforum

Schneiden und reißen, kleben und kleckern, falten und knittern

 

Workshop Unit 404
 

Welche Ziele verfolgst du langfristig in deiner künstlerischen Karriere?

Gordon: Ich möchte von meiner Kunst leben, ohne komplett auszubrennen.

Johanna: Ich auch.

Jonas: Wir haben in unserem Kollektiv - und auch individuell - so viele Pläne und Ideen, die mit Blick auf die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen einfach zu groß sind. Langfristig hoffe ich, dass wir uns auch an die größeren und utopischen Projekte wagen können.

Gibt es ein Traumprojekt, das du gerne realisieren würdest?

Johanna: Wir haben einige (traumhafte) Projekte in Planung, die wir sehr gerne in die Tat umsetzen wollen, sobald uns alle dafür nötigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Zum Beispiel konzipieren wir schon seit längerem eine Ausstellung, die aus mehreren sowohl digitalen als auch bildhauerischen Arbeiten besteht, die sich mit der Frage von Eigentum in virtuellen Räumen wie dem Metaverse auseinandersetzen.

Gordon: Ich hätte gerne irgendwann ein eigenes Atelier, gerne auch mit Unit 404 zusammen, wo alle Freunde zusammenarbeiten und leben können.

Welche Rolle spielt deine Umgebung für deine kreative Arbeit?

Gordon: Da wir ja als Kollektiv oft online arbeiten und kein festes Studio haben, spielen hier andere Faktoren eine Rolle als im klassischen Kunst-Atelier. Die Post Studio Praxis bringt ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich, da wir fast alle an verschiedenen Orten leben.

Was möchtest du, dass die Menschen über dich und deine Kunst wissen?

Gordon: Das Nötigste, um sie zu verstehen, als Einzelpersonen möchten wir lieber im Hintergrund bleiben.

Jonas: Dass es sich lohnt, vorbeizuschauen und sich selbst zu überzeugen, wenn wir etwas präsentieren. Ich persönlich denke oft, dass Kunst den Ruf hat “nicht für jeden” zu sein. Ich hoffe, dass wir mit unseren Arbeiten Erfahrungsräume schaffen können, denen man auch ohne Vorwissen und kunsthistorische Einschätzung etwas abgewinnen kann - einfach als Mensch. In diesem Sinne - bis dahin!

 

8. August um 19 Uhr science talk

„Kunst vs. Wissenschaft?“
Passt Kunst und Wissenschaft zusammen oder doch eher gar nicht?


Freut euch auf einen lebhaften Austausch und tiefgehende Einblicke in die Synergien und Unterschiede dieser beiden Welten.


science talk Wissenschaft vs. Kunst